杵渕博樹
ドイツ文学 146(2) 72-87 2013年3月 査読有り
Viele der Grassschen Prosawerke basieren auf den geschichtlichen und geographischen Eigenschaften bestimmter Orte. Nicht nur in fruhen Werken, sondern auch in "Die Rattin", "Unkenrufe" oder "Im Krebsgang" spielt seine Heimatstadt Danzig eine entscheidende Rolle. In den Fallen von "ortlich betaubt" und "Ein weites Feld" sind die Erzahlungen in dieser Weise von der jeweiligen Situation der Stadt Berlin bestimmt. Aus dieser Ortsbedingtheit als Ausgangspunkt entfaltet sich die jeweilige Problematik der Erzahlung. Dabei zeigen die Entwicklungen der Geschichten eine auffallende Uberschreitung von Grenzen sowohl auf der raumlichen Ebene als auch auf der zeitlichen. Diese literarische Dynamik wirkt oft politisch im Rahmen der Auseinandersetzung mit "der deutschen Frage". Auch in "Grimms Worter" gestalten sich einige privilegierte Orte, vor allem die zwei Stadte Gottingen und Berlin, zur die Erzahlstruktur bestimmenden Topologie. Direkt nach der einfachen Einfuhrung beginnt das Werk mit dem Vorfall der Gottinger Sieben. Jacob Grimm wurde 1837 des Landes verwiesen und lebte danach mit seinem Bruder Wilhelm im Exil. Unter diesen Umstanden erhalten die Bruder den Auftrag zur Erstellung des Worterbuchs. In dieser Zeit wird Jacob zum Symbol des liberalen und demokratischen Denkens und bei der Frankfurter Nationalversammlung wird eine leitende Rolle von ihm erwartet. In der Frankfurter Paulskirche hat auch Grass einen Vortrag gehalten. Auch Grass verbindet mit Gottingen intensive Erinnerungen. Zum einen hat er nach einmaligem Schulbesuch eines Gottinger Gymnasiums bewusst auf das Abitur verzichtet, daruber hinaus hat er hier aber auch mit dem Steidl-Verlag einen Verlagleiter gefunden, mit dem ihn heute eine uber 20-jahrige Zusammenarbeit und Freundschaft verbindet. Jacob und Wilhelm arbeiten in spateren Jahren in Berlin, der Hauptstadt Preussens an ihrem Worterbuch. Da hat auch Grass die politische Saison in den sechziger Jahren verbracht. Auf diese Weise finden die Lebenslaufe des Autors und der Gebruder Grimm Beruhrungspunkte, die dem Erzahler Anlass zu den einzelenen Episoden geben. "Grimms Worter" behandelt zunachst den spdten Lebenslauf der Bruder Grimm und in der zweiten Halfte die weitere Geschichte nach ihrem Tod, es geht Grass also vor allem die Entstehung ihres Worterbuchs. Das deutet er auch durch die Form der Lexikon-Parodie an: Am Beginn jedes der neun Kapitel steht je ein Buchstabe und zwar alphabetisch gesetzt. Dabei wird der Tiergarten zur Metapher des Worterbuchs. Der Garten wurde zeitgenossisch entworfen und war noch nicht fertig eingerichtet, als die Bruder nach Berlin zogen. Grass wollte sie im Tiergarten immer wieder spazierengehen und uber die deutschen Sprache diskutieren sehen. Der eigentlich naturlich entstandene und dann kunstlich geordnete Wald in der Hauptstadt wird so zum Wald der Worter und der Marchen. Durch diesen Wald wandeln die beiden bekanntesten Vertreter deutscher Marchenliteratur und in der fiktiven Gegenwart begegnet der lebende Autor den schon toten Figuren aus der Vergangenheit. Nur in einem marchenartigen Text kann sich ein solches Treffen uberzeugend darstellen lassen. Auch seinem letzten Werk vor "Grimms Worter", "Die Box", gibt Grass Rahmen eines Marchens mit dem Auftakt es-war-einmal und setzt ins Zentrum der Geschichte eine Zauberkamera. Die Kamera und die Fotografin sehen manchmal schon verlorene Szenen mit nicht mehr lebenden Personen. Auch diese Erzahlung erweist sich als eine Variante der Beschworung der Toten durch eine Marchenparodie. Der Autor im hohen Alter bekennt seine Angst vor dem eigenen Tod und halt die "Rede uber das Alter" von Jacob Grimm fur einen der elementaren Stoffe der dreifachen Biographie. Das Nahen seines eigenen Tods scheint hier eine Voraussetzung dafur sein, sich den Toten anzunahern. Im letzten Teil der Autobiographie-Trilogie zeichnet Grass ein gegenwartiges Selbstbildnis in der marchenhaften Welt der Toten, wo die zeitliche Ordnung und die Grenze zwischen Leben und Tod aufgehoben ist. Gunter Grass hat in "Grimms Worter" den spateren Lebenslauf der Bruder und die Entstehungsgeschichte ihres Worterbuchs vom Aspekt der geographischen und politischen Grenzuberschreitung aus erfassen und diese Dynamik in die Entwicklung der Erzahlung am Bild des Tiergartens metaphorisch ubemommen. Der auf diese Weise verwirklichte Stil mit dem Charakter der Marchen- und Lexikonparodie hat Grass die sonderbare Einmischnung in die Grimmsche Welt ermoglicht. Durch diese Technik wird sein autobiographischer Erzahlraum zu einer Buhne, auf der sich der Lebendige und die Toten begegnen.